Als ich im Sommer 2022 die Zusage für ein Promotionsstipendium im Rahmen der Begabtenförderung erhielt, habe ich mich zunächst riesig gefreut. Vorausgegangen war ein langer und aufwendiger Bewerbungsprozess – begleitet von der nervenaufreibenden Ungewissheit, überhaupt eine Finanzierungsquelle für die Promotion zu finden, und finanziert auf Basis einer kaum zur Sicherung des Lebensunterhalts ausreichenden halben Stelle als wissenschaftliche Hilfskraft (WHK) an der Universität. Gut eineinhalb Jahre nach meinem Masterabschluss sollte ich mich mit der Stipendienzusage nun endlich auf meine Promotion konzentrieren können.
Hätte ich damals gewusst, was es bedeutet, mit einem Stipendium zu promovieren, hätte ich mich wahrscheinlich nicht dafür entschieden. In den ersten Monaten des Stipendiums schien die Situation noch halbwegs in Ordnung, da ich meine WHK-Stelle zunächst parallel weiterführen konnte. Aufgrund struktureller Veränderungen an meinem Institut konnte diese jedoch ab Januar 2023 nicht mehr verlängert werden. Seitdem lebe ich ausschließlich von dem Stipendiengeld.
Eigentlich sind Promotionsstipendien im Rahmen der Begabtenförderung, so heißt es zumindest immer wieder von Seiten der Förderwerke, als Vollzeitstipendien konzipiert. Die Stipendien sollen Promovierenden ermöglichen, bei einem hohen Maß an wissenschaftlicher Freiheit “finanziell sorgenfrei” an ihrer Promotion arbeiten zu können. In Zahlen übersetzt bedeutet das: Von den Stiftungen erhalten Stipendiat*innen monatlich 1.450 Euro Grundstipendium plus jeweils 100 Euro Forschungskostenpauschale und Krankenversicherungszuschlag, insgesamt also 1.650 Euro. Das erscheint auf den ersten Blick gar nicht so schlecht, zumal das Stipendium nicht als steuer- und sozialversicherungspflichtiges Einkommen gilt.
Wie prekär die Lage ist, wird erst auf den zweiten Blick deutlich: Aufgrund der fehlenden Sozialversicherung zahle ich – wie die meisten Promotionsstipendiat*innen – jeden Monat etwa 300 Euro für meine freiwillige gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung. Netto bleiben von dem Stipendium also nur 1.350 Euro im Monat übrig. Fast die Hälfte des Restbetrags – nämlich 650 Euro –geht in meinem Fall sodann für Miete und Heizung drauf (ich wohne mit meinem Partner in einer durchschnittlichen Zweizimmerwohnung in einer deutschen Großstadt). Zieht man von den verbleibenden 700 Euro die von den Förderwerken veranschlagte Forschungskostenpauschale von 100 Euro im Monat ab (die im Verhältnis zu den tatsächlichen Kosten für Bücher, Soft- und Hardware, Inlandstagungen etc. eher zu niedrig kalkuliert ist) und subtrahiert von diesem Beitrag noch einmal die verpflichtenden Semestergebühren in Höhe von ca. 50 Euro im Monat (rund 300 Euro pro Semester), sieht die Lage noch düsterer aus: Es bleiben 550 Euro pro Monat für alle weiteren Lebenshaltungskosten (Strom, Essen, Kleidung, Freizeit etc.). Zum Vergleich: Der Bürgergeldsatz für Alleinstehende beträgt derzeit 563 Euro. Würde ich meine Promotion also heute abbrechen und Bürgergeld beantragen, stünde ich finanziell besser da.
Insbesondere vor dem Hintergrund der Inflation und den damit einhergehenden steigenden Lebenshaltungskosten hat die geringe Stipendienhöhe dazu geführt, dass mich größere Ausgaben, z.B. für einen neuen Laptop oder eine neue Brille (also selbst für Dinge, die für meine wissenschaftliche Arbeit existenziell sind), regelmäßig vor enorme finanzielle Herausforderungen stellen. Zwar wurden die Promotionsstipendien der Begabtenförderungswerke im Oktober 2023 um 100 Euro pro Monat (7 Prozent) erhöht, zuvor jedoch seit 2016 nicht mehr. Allein zwischen 2016 und 2022 betrug die Inflation in Deutschland insgesamt 16 Prozent (vgl. https://dserver.bundestag.de/btd/20/075/2007560.pdf), bei Gütern des täglichen Bedarfs wie Lebensmitteln lag sie bekanntlich noch höher. Es besteht also ein deutliches Missverhältnis zwischen der Inflationsrate und der Anpassung der Stipendiensätze. Die Annahme, dass das Stipendium den Lebensunterhalt sichert und ein finanziell sorgenfreies Promovieren ermöglicht, ist mittlerweile fernab jeder Realität.
Für Außenstehende stellt sich vielleicht die Frage, warum ich mir nicht „einfach“ einen Nebenjob suche, aber das ist aufgrund der strengen Vorschriften zu Nebentätigkeiten neben dem Stipendium durch den Geldgeber, das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), fast unmöglich (Grund: es soll ja eigentlich ein Vollzeitstipendium sein!). Erlaubt sind lediglich Stellen an Hochschulen, die einen Arbeitsumfang von 10 h/Woche nicht überschreiten. Solche Stellen für Personen mit Masterabschluss gibt es jedoch kaum, da diese Stellen von den Personalräten der Hochschulen alles andere als gern gesehen sind (damit einhergeht, dass sogenannte WHK-Stellen in manchen Bundesländern sogar verboten sind). Ich kenne einige Stipendiat*innen, die ein derartiges Arbeitsverhältnis haben oder in der Vergangenheit hatten (mich selbst eingeschlossen), in solchen Fällen handelt es sich aber oftmals um eigens für diese Personen geschaffene Stellen, meistens durch den Doktorvater oder die Doktormutter. Das bedeutet, dass die wenigen ausgeschriebenen Stellen an Hochschulen, die den Stiftungsregularien entsprechen, häufig schon vorvergeben sind. Die Aussichten, außerhalb der Hochschule einen geeigneten Job zu finden, sind allerdings noch schlechter. Hier beträgt die maximale Arbeitszeit nur 5 h/Woche, was die Arbeitssuche extrem erschwert (aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass es sich äußerst paradox anfühlt, wenn man offiziell als ‚begabt‘ geframed wird, aber nicht einmal der Kiosk nebenan einen einstellen will). Hinzu kommt, dass ein solcher Nebenjob – selbst wenn ich ihn fände – nur geringfügig Abhilfe schaffen würde. Das hängt damit zusammen, dass man mit einem 5-Stunden-Job nur bei einem unrealistisch hohen Stundenlohn sozialversicherungspflichtig beschäftigt ist. Genau das wäre aber notwendig, um tatsächlich eine gewisse Sicherheit zu haben. Die strengen Arbeitsregulierungen des BMBF zwingen dazu, in der Prekarität zu verharren.
Was mich umtreibt, sind nicht nur die akuten finanziellen Sorgen, sondern immer mehr auch soziale Scham. Wie erklärt man seinen Eltern, Verwandten und Freund*innen ohne akademischen Hintergrund (aber auch denen mit!), dass man nach so vielen Studienjahren und trotz allerbester Noten mit seinem Geld trotzdem kaum über die Runden kommt? Wie lässt sich rechtfertigen, dass man mit Anfang 30 Vollzeit arbeitet und trotzdem keinerlei Altersvorsorge betreiben kann? Wie kommuniziert man, dass man nicht mit in den Urlaub fahren oder an dieser oder jener Freizeitaktivität nicht teilnehmen kann?
Hinzu kommen immer größere Zukunftsunsicherheiten. Es ist bekannt, dass sich wissenschaftliche Karriere und längerfristige Lebensplanung aufgrund von Kettenbefristungen und hohen Flexibilitätsanforderungen allgemein nicht gut vertragen. Die Lage von Promotionsstipendiat*innen ist jedoch aufgrund der langjährigen prekären Arbeitssituation besonders miserabel. Ich frage mich zum Beispiel, wann der richtige Zeitpunkt sein soll, um Kinder zu bekommen? Während der Promotion, wo das Geld auch ohne Kinder kaum zum Leben ausreicht? Direkt nach der Promotion, wo man als Stipendiat*in in der Regel als Bürgergeldempfänger*in auf Jobsuche gehen muss, weil man – da das Stipendium kein sozialversicherungspflichtiges Einkommen darstellt – keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld hat? Oder wenn ich mit knapp Mitte 30 (hoffentlich) zum ersten Mal in meinem Leben „richtig“ Geld verdiene und endlich etwas ansparen und in die Rentenkasse einzahlen kann? Das alles ist für mich, insbesondere als Frau, gerade schwer vorstellbar.
Schade finde ich, dass insgesamt im Wissenschaftsbetrieb ein fehlendes Bewusstsein für die Situation von Promotionsstipendiat*innen besteht. Immer noch gelten Stipendiat*innen als die „Glückspilze“ unter den Promovierenden, als diejenigen, die aufgrund der Tatsache, dass sie keine Lehrverpflichtungen oder administrative Tätigkeiten wahrnehmen müssen, gegenüber anderen Promovierenden privilegiert seien. Es kommt mir so vor, als würde die Kritik am stipendienbasierten Promovieren oft als eine Art „Luxusproblem“ wahrgenommen. Die Wahrheit ist jedoch, dass viele Stipendiat*innen eben nicht ihre vollen Kapazitäten auf die Promotion richten können, weil sie z.B. unterbezahlte Lehraufträge wahrnehmen, um sich irgendwie über Wasser zu halten (und/oder sich im hohen Maße gesellschaftspolitisch engagieren, denn Engagement ist eine Voraussetzung für die Stipendienzusage und -weiterförderung). Es stimmt, dass das Stipendium denjenigen, die – wie ich aktuell – keiner bezahlten Nebentätigkeit nachgehen, eine große Forschungsfreiheit ermöglichen kann. Aber ist das wirklich ein Privileg, wenn ein Leben am Rande der Armutsgefährdungsschwelle, ohne Renten- und Arbeitslosenversicherung der Preis dafür ist? Es wäre schön, wenn es hier vonseiten der Kolleg*innen mehr Bewusstsein und Solidarität gäbe, denn schließlich bedarf es gebündelter Kräfte in allen Belangen im Kampf um bessere Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft!
Wie viele andere Stipendiat*innen denke auch ich oft daran, das Stipendium einfach hinzuschmeißen und den schwierigen Arbeitsbedingungen den Rücken zu kehren. Derzeit überwiegt noch die Leidenschaft fürs wissenschaftliche Arbeiten und die Begeisterung für mein Promotionsthema. Was sich durchsetzt, bleibt eine Frage des täglichen Aushandelns…